Podcast-Folge 12: Cosplay, Trauma und Verarbeitung
Wenn Kostüme alte Wunden berühren
Einige Menschen nutzen Cosplay, um sich zu heilen. Aber es gibt auch den umgekehrten Effekt: dass ein Charakter plötzlich etwas in einem auslöst, was man gar nicht verarbeiten wollte. Starkes Thema für einen sehr persönlichen Blick.
Podcast-Folge 12: Cosplay, Trauma und Verarbeitung – Wenn Kostüme alte Wunden berühren
Manchmal reicht ein Kostüm.
Ein einziges. Und plötzlich ist da nicht mehr nur Stoff und Farbe – sondern ein Gefühl, das du nicht erwartet hast Etwas zieht sich zusammen. Der Atem wird schwer. Der Blick verschwimmt.
Und du stehst da, in einem Charakter, den du eigentlich gefeiert hast – und merkst:
Du bist nicht mehr sicher. Nicht mehr frei. Du bist zurück an einem Ort, den du längst vergessen wolltest.
Cosplay kann Heilung sein.
Es kann dir helfen, Dinge zu verarbeiten, dich zu stärken, dich zu zeigen. Aber manchmal – und das spricht kaum jemand aus – manchmal reißt es auch alte Wunden auf. Nicht absichtlich. Nicht weil du schwach bist. Sondern weil manche Geschichten zu nah sind. Weil ein Charakter dich spiegelt, bevor du bereit bist, dich selbst zu sehen.
Ich habe mit Cosplayern gesprochen, die genau das erlebt haben.
Ein Beispiel: Eine Cosplayerin hat einen Charakter gewählt, der in der Story Opfer psychischer Gewalt ist – stark, verletzlich, durch viele innere Kämpfe gegangen. Sie hatte sich darin wiedergefunden. Wollte diesen Schmerz sichtbar machen. Sie hat monatelang genäht, Details recherchiert, sich vorbereitet. Aber als sie das Kostüm trug, passierte es: Flashbacks. Tränen. Kalter Schweiß. Nicht, weil sie den Charakter falsch verstanden hätte. Sondern weil sie sich selbst zu gut kannte. Und plötzlich war sie mittendrin. Nicht mehr im Cosplay. Sondern in der Vergangenheit.
Solche Momente kommen oft unerwartet.
Weil du dachtest, du bist bereit. Weil du dachtest, das ist „nur ein Charakter“. Aber Trauma funktioniert nicht logisch. Es schläft leise – und wacht manchmal auf, wenn du es am wenigsten brauchst.
Ein anderer Cosplayer erzählte mir von einem ähnlichen Moment.
Er hatte einen sehr dominanten, gewaltvollen Charakter gecosplayt – weil er damit seine Ohnmacht von früher brechen wollte. Wollte Kontrolle spüren, Macht. Aber nach dem dritten Shooting fühlte er sich leer. Nicht stärker – sondern schmutzig. Nicht befreit – sondern fremd im eigenen Körper. Weil der Versuch, das Trauma zu kontrollieren, es nur lauter gemacht hatte.
Das sind keine Einzelfälle.
Viele Menschen kommen mit seelischen Wunden in diese Szene. Weil Cosplay ein Ventil ist.
Weil du hier du selbst sein darfst – oder jemand anderes. Aber diese Offenheit macht auch verletzlich. Und wenn du mit einem Kostüm in eine Emotion steigst, die zu tief sitzt –
dann kann der Körper reagieren, bevor dein Verstand weiß, was los ist.
Das Schwierige daran ist:
Von außen sieht man nichts. Im Gegenteil – oft sind das die Kostüme, die Applaus bekommen.
Starke Charaktere. Bewegende Stories. Emotionale Tiefe. Aber keiner weiß, was es dich kostet, sie zu tragen. Niemand fragt, ob du dich wirklich wohlfühlst. Weil die Szene so viel auf Ästhetik schaut – und so wenig auf Innenleben.
Was also tun, wenn dir genau das passiert?
Wenn ein Charakter dich triggert? Wenn du spürst, dass du in etwas rutschst, das dir nicht guttut?
Erstens: Nimm dich ernst.
Was du fühlst, ist real. Es ist kein „Drama“, keine Übertreibung. Und es heißt auch nicht, dass du das Cosplay aufgeben musst. Aber du darfst Abstand nehmen. Du darfst einen Charakter pausieren. Du darfst sagen: „Gerade nicht.“ Ohne dich dafür rechtfertigen zu müssen.
Zweitens: Sprich darüber.
Nicht überall. Nicht mit jedem. Aber such dir ein Umfeld, dem du vertraust. Andere Cosplayer, die wirklich zuhören. Nicht nur Fans, sondern Menschen. Oder auch Hilfe von außen – professionell.
Es gibt Therapeuten, die kreativ arbeiten, die verstehen, was du da tust. Die nicht lachen, wenn du sagst: „Ich habe in einem Kostüm geweint.“ Sondern erkennen, was dahintersteckt.
Drittens: Du darfst deine Geschichte verändern.
Du kannst entscheiden, wie viel du von dir in einem Charakter steckst. Du kannst sagen: „Ich mache ein AU“ – ein alternatives Universum, auch für dich selbst. Ein neuer Blick, ein neuer Umgang.
Oder du erschaffst einen eigenen Charakter, der dein Gefühl trägt, aber auf deine Weise.
Cosplay ist keine Verpflichtung zur Selbstauslieferung. Es darf schützen, nicht zerstören.
Und viertens – das ist vielleicht das Wichtigste: Du bist nicht schwach, wenn du verletzt bist.
Du bist nicht weniger Cosplayer, weil du Pausen brauchst. Manchmal ist das mutigste Cosplay das, das du nicht trägst. Weil du auf dich achtest. Weil du spürst, dass deine Seele Vorrang hat vor dem Applaus.
Es gibt in der Szene eine stille Stärke.
Menschen, die mit gebrochenem Herzen Kostüme bauen.
Die mit zitternden Händen Rüstungen basteln.
Die sich trotz innerem Chaos auf eine Bühne stellen – nicht zum Verdrängen, sondern um zu überleben.
Und wenn du dazugehörst – dann bist du nicht allein.
Auch wenn es sich manchmal so anfühlt.
Wenn ein Kostüm etwas aufwühlt, was du nicht zeigen wolltest,
dann ist das kein Scheitern.
Es ist ein Zeichen, dass du tiefer fühlst als viele andere.
Dass du mehr in dir trägst.
Und vielleicht ist gerade das deine Kraft – wenn du lernst, sie zu halten, statt sie wegzupacken.
Du darfst wählen, was du zeigen willst.
Du darfst deine Wunden kennen, ohne sie zur Show zu machen.
Du darfst laut sein – oder still.
Aber du darfst nie vergessen: Du bist mehr als dein Trauma.
Bleib mutig! – Dein ArtymusCrafts
